Abstrakt & eskapistisch: Die visuelle Welt von Jilli Darling Abstrakt & eskapistisch: Die visuelle Welt von Jilli Darling

Eine Künstlerin mit neun Leben - und einer dreibeinigen Katze

Eine Künstlerin mit neun Leben - und einer dreibeinigen Katze

Jill Castillo, oder "Jilli", wie sie von ihren Freunden genannt wird, war nahezu auf der ganzen Welt zu Hause. Geboren auf den Philippinen, führte die Arbeit ihres Vaters als Ingenieur die Familie nach Saudi-Arabien, als Jill neun Jahre alt war. Aufgewachsen ist sie dann in Toronto. Nach dem Schulabschluss folgte sie ihrem Traum, Künstlerin zu werden: Zuerst in Dublin, dann in London und schließlich hier, in Berlin.

Wir sprechen über Zoom, Jill ruft mich aus ihrer Wohnung an. Ich sehe weiße Wände und viel, viel Kunst. Und sie zeigt mir Oly - den dreibeinigen Straßenkater, für die sie auf einer GoFundme-Seite 500 Euro gesammelt hat, um ihn aus Dubai zu adoptieren - eine der Spenderinnen bot ihr dabei sogar an, mit Oly im Flugzeug rüber zu fliegen.

Zu Hause mit Oly führt Jill einen easy going Boho-Lifestyle - zumindest von außen betrachtet. Sie wacht nach einem langen Schlaf auf, setzt den Kaffee auf...und liest. "Morgende sind zum Reflektieren da", sagt sie mir. Danach macht sie sich auf und beginnt, an ihrem neuesten Projekt zu arbeiten.

Jill arbeitet sowohl digital als auch auf Leinwand, verwendet Acrylfarben und Ölstifte. Ihr Stil ist mutig, bunt und abstrakt. Sie liebt den "Memphis"-Style, eine Designbewegung der 80er Jahre, die die Kombination aus Neonfarben, Texturen und Formen zelebriert. Außerdem mag sie die expressionistischen Arbeiten von Helen Frankenthaler, eine der ersten Frauen, die mit großen, soliden Blöcken aus leuchtenden Farben malten.

Inspiration findet Jill auch innerhalb der kreativen Artist Community, wo sie die Designs von Künstler*innen entdeckt, auf die sie auf normalem Wege vielleicht nicht gestoßen wäre. "Einer meiner Favoriten ist Tom Abbiss Smith. Seine Bilder sind einfach durchweg ansprechend und wunderschön. Man kann die Arbeit darin genau erkennen", sagt sie.

"Außerdem liebe ich Polilovi für ihre Porträts. Dafür, dass sie so simpel und grafisch sind, und auch dafür, dass Holly sie zunächst aus Fotos ihrer Porträts gefertigt hat, nur um sie dann zu reduzieren, um es grafischer aussehen zu lassen."

Als ich sie frage, wodurch sie sich zu jenen abstrakten, minimalistischen Formen, mit denen sie arbeitet, angezogen fühlt, hält sie einen kurzen Moment inne.

"Ich denke, es hat etwas mit den Räumen zwischen diesen Farbblöcken zu tun. Es ist beinahe so, als könnten sie ewig weitergehen. Ich habe das Gefühl, man könnte in sie eintauchen und einfach darin schwimmen. In gewisser Weise expansiv, ungeachtet dessen, um welche Form es sich handelt.”

Jills Stil ist also durchaus einer, der buchstäblich Raum für Interpretationen lässt. Schaut man genauer hin, wird zwischen den Formen etwas erkennbar: Eine Art Schimmer von Inspirationen aus einer vergangenen Zeit, in der die ganze Welt ihr Zuhause war. "Meine Kunst ist so etwas wie ein Entkommen aus dem Alltag. Vieles davon fühlt sich für mich wie ein Tagtraum an. All der Mut, all die Farben. Und manchmal sieht man auch ein Himmel oder ein Tor zu etwas."

Am meisten genießt Jill Arbeiten, die mit den Herausforderungen größerer Maßstäbe einhergehen: "Ich liebe es, so groß wie möglich zu arbeiten. Das sind immer die Werke, auf die ich am stolzesten bin. Weißt du, neben ihnen fühle ich mich einfach so winzig. Es ist der starke Kontrast zu meinen eigenen Dimensionen. Ich wünschte, ich könnte noch größer arbeiten, aber die Leinwände würden es nie aus der Wohnung schaffen - geschweige denn hinein."

Im Hintergrund steht eines ihrer neuesten Pieces auf einer Staffelei. Satte Farben, eine Mischung aus zarten Rosatönen und leuchtendem Blau springen einem förmlich entgegen. Ein wahrer Augenschmaus, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der Blick des Betrachtenden in verschiedene Ecken der Leinwand gelenkt wird.

Als ich Jill darauf anspreche, erzählt sie mir: "Ich versuche, verschiedene Farben zu verwenden, verschiedene Formen zu kreieren und das Raster zu durchbrechen. Im Design gibt es typischerweise stets ein solches Raster, an dem sich die Augen orientieren, an dem sich die Dinge ausrichten und an dem sie - im wahrsten Sinne de Wortes - einrasten. Für mich ist es leicht, es zu finden, weil ich mit geometrischen Formen arbeite. Um hingegen auszubrechen, füge ich zum Beispiel eine beliebige, eigenwillige Form ein. So wird es optisch ansprechender. Es kreiert Interesse an einem Ort, an dem man dann wiederum ein Gleichgewicht finden muss. So entsteht eine visuelle Dynamik, ein Flow. Und zwar genau dort, wo das Auge es nicht erwartet."

Das Bild wurde spritzlackiert und mit Acrylfarben auf ein altes Bild geschichtet, welches ihr weniger gefiel. Etwas, das in gewisser Weise die (virtuell) vor mir sitzende Künstlerin widerspiegelt.

Denn Jill ist einerseits überschwänglich, extrovertiert und lebendig. Gleichzeitig kontemplativ, meditativ und nachdenklich. Dies kommt in ihrer Arbeit in Form zweier gegensätzlicher Stile zum Ausdruck - die größeren, extrovertierten Gemälde im Gegensatz zu den minimalistischen Studien und Zeichnungen, die ihre eher introvertierte Seite zeigen.

In vielerlei Hinsicht ist das künstlerische Schaffen eine Form der Meditation. Jill gibt sich dem hin, indem sie alles andere wegfallen lässt: "Ich nenne die Studien und Zeichnungen meine Meditationsarbeit. Ich versuche nicht, Formen zu kombinieren, die gut funktionieren, oder Farben zusammenzustellen, die einen gleichmäßigen Kontrast haben. Es ist sehr automatisiert, ich markiere etwas hier, hinterlasse Flecken dort und so weiter. Und während ich das tue, meditiere ich. Manchmal wandern meine Gedanken zu Dingen, die sich tief im Hinterkopf befinden. Durch die Kunst des Schaffens werden sie hervorgeholt und zerstreut."

Doch es ist mehr als das. Die Kunst war mehr als einmal essentieller Bestandteil ihres Heilungsprozesses. Ein Werkzeug, das ihr dabei half, schwierige Phasen ihres Lebens durchzustehen: "Ich muss wirklich sagen, dass all diese harten Zeiten und das Durchstehen selbiger dich unheimlich stark machen und man dem, was man sein will und wo man sein sollte, viel näher kommen lassen. Ich persönlich habe diese Erkenntnis erst nach einer Reihe von Burnouts erlangt - inmitten einer Depression, inmitten einer Menge persönlicher Kämpfe, sowohl beruflich als auch privat. Und ich habe erkannt, dass dies vielleicht ein Symptom dafür war, dass ich nicht wirklich auf mich selbst gehört habe und darauf, wer ich war und was ich tun wollte. Erst als ich mich der Kunst zuwandte, habe ich das langsam entdeckt.

"Ich denke, das Schöne daran, seinen Träumen zu folgen, ist einfach, dass, wenn man etwas tut, das wirklich zu einem selbst gehört und aus der Seele kommt, sich alles von selber fügt. Es ist keine leichte Arbeit. Es wird nie einfach sein. Aber ich denke, je näher man sich selbst ist und je mehr man sich selbst treu bleibt, desto mehr geschehen die richtigen Dinge. Und irgendwie, Stück für Stück, entsteht Magie."

Wenn du mehr von Jillis Arbeiten sehen möchtest, entdecke die ganze Kollektion hier oder folge ihr auf Instagram @jillidarlingart. .

Text: Anna Fleck

Übersetzung: Eva Klann