Wenn das Herz den Pinsel führt: Ein Gespräch mit Julia Hariri Wenn das Herz den Pinsel führt: Ein Gespräch mit Julia Hariri

Die Künstlerin über kreative Schaffensprozesse und den emotionalen Wert ihrer Bilder

Die Künstlerin über kreative Schaffensprozesse und den emotionalen Wert ihrer Bilder

Julia Hariri erkennt das Schöne auch in kleinen Dingen – sei es eine verwitterte alte Holztür oder die feinen Konturen einen Frauengesichts. Dieser “Fetisch” für Besonderheiten, wie sie ihr Auge fürs Detail liebevoll bezeichnet, legt die Grundlage für ihre abwechslungsreichen Arbeiten. Filigrane Linienzeichnungen treffen dabei auf grafische Motive aus Wasserfarben und zeugen von der Vielseitigkeit der deutschen Künstlerin.

Erfahrt mehr über ihre kreativen Prozesse, ihr Privatleben und wie beides durch ihre Intuitivität und Lernbereitschaft geprägt ist.

Die Magie der Vorstellungskraft

Julia Hariris Designportfolio stützt sich auf zwei zentrale Themen: Die Frauenporträts ihrer Linework-Kollektion und die Himmelskörper der Moon-Serie. Verbindendes Element ist nach Julia dabei das Potenzial, die “Fantasie der Betrachter anzuregen”, indem sie in ihren Linienarbeiten mit verschiedenen Gesichtsausdrücken spielt und den Planeten unterschiedliche Strukturen verleiht.

Auf die Art ermutigt uns die Künstlerin, Menschen und Muster durch ihre Augen zu sehen – aufmerksam, empathisch und beobachtend. Ein Paradebeispiel hierfür ist ihr Druck “Noticed”: Ein zyklopisches Auge krönt den attraktiven Körper einer Frau und soll auf Personen hinweisen, “die aus der Menge herausstechen, während alle anderen unbemerkt bleiben”.

Durch ihre Linien-Kollektionen fordert uns Julia dazu auf, Dinge jenseit ihrer oberflächlichen Bedeutung wahrzunehmen. Schon als kleines Kind entkoppelte sie sich von der Gegenwart und gab Träumen und Zukunftsvisionen durch ihre Zeichnungen Ausdruck. “Ich war verrückt nach Tieren und wollte Zoowärterin werden. Also habe ich viele Tiere wie Pferde, Delfine und Kaninchen gemalt.”

Als sich ihre Karrierewünsche im Laufe der Zeit veränderten, erweiterte sie ihre künstlerisches Spektrum entsprechend. Etwa im Alter von 11 Jahren entwickelte sie den Wunsch, Modedesignerin zu werden und begann, Menschen zu zeichnen und Kleidung zu entwerfen – der Grundstein für ihre stimmungsvollen Linien-Arbeiten war gelegt.

Emotionen ausdrücken und wecken

Was Julias Zeichnungen so besonders macht, ist die Fähigkeit, mit nur wenigen Linien tiefe menschliche Gefühle auszudrücken. Von “Curious Girl” bis hin zu “Boredom” handelt es sich dabei um Emotionen, mit denen wir uns alle identifizieren können. Ihr Geheimnis? Anstatt strikt nach einer vordefinierten Agenda zu arbeiten, lässt sich die Künstlerin intuitiv und von eigenen Gefühlszuständen leiten. “Oft zeichne ich einfach Dinge, die spontan entstehen und eine bestimmte Stimmung widerspiegeln.”

Interessanterweise beinhalten bereits die Titel ihrer Designs eine emotionale Komponente: “Ich habe gehört, dass Eltern, die erst unsicher waren, wie sie ihr Baby nennen sollten, sofort ein Name eingefallen ist, wenn ihr Sprössling zur Welt gekommen ist. Ich habe das Gefühl, dass es bei mir und meinen Kunstwerken genau so ist. Ich betrachte sie und weiß es dann einfach.” “Poppy”, “Sophie”, “Layla”, “Carmen”,... Wie ein Neugeborenes hat jedes ihrer Bilder einen ganz eigenen Charakter und wurde dementsprechend benannt.

Während ihres Modedesignstudiums lernte Julia, ihre Gedanken, Ideen und Gefühle konkret werden zu lassen und visuell umzusetzen. Ebenso inspirierend empfand sie ihr Praktikum in einem Print-Design-Studio in London. Umrundet von anderen Kreativen hörte sie hier “den ganzen Tag Musik und zeichnete, während Katzen über [ihre] Drucke und Hunde durch das Studio liefen und die Zuggleise über [ihren] Köpfen jede halbe Stunde ein Erdbeben verursachten”. Die Begeisterung über diese Erfahrung ist ein Abbild der tiefen Gefühle, die Julia in jede ihrer Kreationen einfließen lässt.

Meine Zeit in London fühlte sich an wie in einem Film. Das Studio war ein wunderschönes Durcheinander.

Voller Leidenschaft und Neugierde

Während ihres Praktikums in London vertiefte die Designerin die Technik des digitalen Editierens, die das Fundament für eine ihrer künftigen Kollektionen sein sollte: ihre Moon-Serie. Bei dieser experimentiert sie zunächst mit Aquarellfarben und verfeinert ihre Kreationen dann am Computer.

Besonders begeistert ist sie dabei jedes mal von dem “überraschenden” Fluss der Wasserfarben, genießt aber auch die spätere Feinarbeit. “Für mich hat die digitale Seite den gleichen Spaßfaktor wie das Malen von Hand.” Das Endergebnis? Planeten und andere astronomische Motive wie “Constellation Pink” oder “Supernova”, die Julias einzigartiges Gespür für verschiedene Farben, Texturen und Techniken gekonnt zusammenführen.

Inspiration für ihre Himmelskörper findet die Künstlerin bei Spaziergängen an der frischen Luft. “Wenn ich durch die Natur und die Stadt laufe, fallen mir selbst die kleinsten Dinge auf. Ich fotografiere Wände, Holz, verschiedene Böden, Blätter,... Alles, dessen Farbe und Struktur mich berührt.” Auf ihren Streifzügen entwickelte Julia auch ein gezieltes Auge für die jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Besonderheiten einer Stadt.

In London erkundete sie zum Beispiel all die “verschiedenen Kulturen, Geschäfte, das Essen”. Dass man in der britischen Hauptstadt “an nur einem Tag sowohl Indien als auch Afrika und China besuchen” könne, gefällt ihr dabei am meisten. Inspiriert von dieser Vielfalt wählte Julia Multikulturalismus als Kernpunkt ihrer Bachelor-Arbeit und hofft, ihr kulturelles Verständnis irgendwann weiter vertiefen zu können, indem sie die Welt bereist und dabei kreativ tätig ist.

Ich glaube fest daran, dass man alles erreichen kann, wenn man es wirklich will und hart arbeitet.

Neben einer Zukunft als Weltenbummlerin plant Julia auch, ihre Kunst in irgendeiner Form in ihre Modedesigns zu integrieren. Bis dahin bleibt sie angestellte Modedesignerin am Tag und freiberufliche Künstlerin am Abend. Bei der Organisation ihrer unabhängigen Projekte, der Arbeit an Aufträgen und der Gestaltung neuer Kunstwerke fühlt sie sich dabei voll und ganz in ihrem Element. “Da Kreativ-sein mein größtes Hobby ist, fühlt sich dieser Teil des Tages selten wie Arbeit an.”

Kunst ist für sie ganz offensichtlich mehr als ein Nebenjob und spielt auch in ihrem Privatleben eine entscheidende Rolle. Und genau das lässt Julias Bilder so aus der Masse herausstechen – sie kommen aus dem Herzen und vermitteln aufrechte Natürlichkeit.

Fantasie, Emotionen, Leidenschaft: Das sind die Qualitäten, die Julias Prints verbinden. Und doch steht jeder für sich und zieht seine Betrachter auf ganz individuelle Weise in seinen Bann. Mach dir dein eigenes Bild von ihren Kollektionen und lass dich von ihrer Ausdrucksstärke mitreißen.

Text: Lucy Woods

Übersetzung: Ina Schulze